Norbert Baumert, «'Epi-gnosis' bei Paulus 'Eifer der Juden' - ohne 'Erkenntnis'? (Röm 10,2)», Vol. 22 (2009) 133-148
There is 'consensus' that the composed words epigignoskein / epignosis would be synonymous with the simple gignosko / gnosis in the sense of 'to know'. But the preposition epi always indicates a special connotation, e.g. 'clear, fully or 'additional knowledge'. In the three cases in which it appears in Rom, the sense is the following: in Rom 1,28 underlines, after what has been said in Rom 1,18-27, that there is a clear natural knowledge of God and therefore also knowledge of good and evil. Rom 3,20 says that God gave by the Law an additional knowledge of sin. Finally Rom 10,2 says that the Jews have religious zeal, but not in the sense of that additional knowledge that is now given in Christ. So Paul does not say they would have no knowledge at all, but only that they have not got this specific additional knowledge (German: Zu-Erkenntnis)1.
᾽Επί-γνωσις bei Paulus “Eifer der Juden” - ohne “Erkenntnis”? (Röm 10,2) 141
seiner Bedeutung abgegriffen wäre (Paulus selbst gebraucht es ja 23mal,
und zwar in seinem vollen Sinn), sondern doch wohl, weil man eine Spezi-
fizierung wünschte (s.o. die Lexica). Doch nach Bultmann (707) lasse
“sich ein Unterschied zwischen γνῶσις und ἐπίγνωσις nicht feststellen”.
5. ᾽Επίγνωσις ist im paulinischen (15x) und paulinisch gefärbten
Schrifttum (5x) innerhalb des NT also ein Vorzugswort. Was folgt daraus?
Dies weist zunächst hin auf eine gehobene Sprache. Ferner hat, wenn
es sich aufzeigen läßt, analog zu dem verbum compositum auch beim
Substantiv eine Spezialbedeutung den Vorrang, bevor man es bereits
im 1. Jh. (in einer gehobenen Sprachschicht!) als semantisch nivelliert
erklärt, zumal Paulus ja das Grundwort γνῶσις in seinem vollen Sinn
zur Verfügung hat und gebraucht. Die Nivellierung kommt später! Die
Belege (zu Röm s.u. 6) sind also nicht darauf hin zu prüfen, ob man dort
ἐπίγνωσις auch mit dem Grundwort ,Erkenntnis’ übersetzen könne,
sondern ob eine zusätzliche nota (Sem), also ein Bedeutungsüberschuß
ausgeschlossen werden muß! Erst dann wäre erwiesen, daß es mit γνῶσις
synonym gebraucht ist.
- Phil 1,9: “Und insofern bete ich, daß eure Liebe immer noch mehr
wachse und reich werde an hinzukommender Erkenntnis (ἐν ἐπι-γνώσει)
und jeder Art Wahrnehmung, so daß ihr die Abweichungen (aus eigener
Erfahrung) erkennt ...” Aus der wachsenden Liebe soll also als Frucht ei-
ne genauere /reifere Erkenntnis und ,Wahrnehmung’ hervorgehen. Paulus
setzt voraus, daß sie schon eine gewisse Erkenntnis haben, aber er betet,
daß ihre Liebe reich wird an weiterer (oder: Zu-) Erkenntnis. In 1 Kor 1,5
hingegen, wo Bultmann (707) “nichts anderes” herausliest, steht: “Ihr seid
reich gemacht worden an mancherlei Wort und mancher Erkenntnis”, al-
so im Aorist; dort ist nicht betont, daß sie vorher schon Erkenntnis dieser
Art gehabt haben, sondern ist einfach ihr Reichtum an Geistphänomenen
ausgesagt, wobei γνῶσις hier so etwas wie “Wort der Erkenntnis” meint
(Baumert, Sorgen 13-15), also auch deshalb nicht zu vergleichen ist.
- Phlm 6: “Möge die Freigebigkeit Deines Trauens wirksam werden in
einer genauen / klaren / weiteren Erkenntnis (ἐπίγνωσις) ,alles Guten
in Euch’ gegenüber Christus”; das heißt: mögen viele Außenstehende,
Juden und Griechen, die euch kennen und die von eurem Bekenntnis zu
Christus wissen, aufgrund deiner großzügigen Spende noch mehr erken-
nen, welche gute Gesinnung unter euch Christus gegenüber besteht und
dadurch zu Christus finden. Es geht um den missionarischen Aspekt (vgl.
Baumert, Studien 131.152f.158); sie mögen noch mehr erkennen, wie sehr
ihr Christus liebt, so daß du eine so große Spende (den Heiligen) gemacht
hast. ᾽Επίγνωσις enthält also die Konnotation einer hinzukommenden
Erkenntnis.