Johannes Beutler, «'Reich Gottes' im Johannesevangelium», Vol. 96 (2015) 428-441
The Kingdom of God does not play a central role in the Gospel of John. John sees it as a transcendent reality promised to humans by a 'rebirth' or a 'birth from above' (John 3,3.5). The 'Kingdom' of Jesus is not of political nature, but consists in Jesus' testimony to the truth (John 18,33-37). Besides the texts which speak expressly of the 'Kingdom' of 'God' or of 'Jesus', there are others in the Gospel of John which describe the reality of the Kingdom of God using some basic terms like peace, joy and the Holy Spirit. The roots of this tradition can be traced back to the Gospel of Luke (24,36-49) and even to the Old Testament and the Ancient Near East with its royal ideology: the ruler as bringer of justice, peace and joy.
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des Textzusammenhangs, der auf die Eintracht in der Gemeinde zielt.
Darum auch die Fortsetzung in “Langmut” usw.
Das Stichwort “Gerechtigkeit” fehlt in Joh 14,25-28. Es begegnet aber
in auffallender Weise in Joh 16,8-10 16. Es handelt sich hier um die einzige
Stelle, an der im Johannesevangelium von der “Gerechtigkeit” die Rede
ist, und dies dann gleich dreimal. Der Geist wird die Welt aufklären über
Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Mit dem Geist fällt ein weiteres Stichwort
aus Joh 14,25-28. Diese Beobachtung lädt dazu ein, sich den weiteren
Kontext der Stelle anzusehen. Das Ergebnis ist in der Tat überraschend.
In den Versen 20-22 spricht Jesus von der Trauer, die die Jünger erfüllt,
wenn ihnen ihr Herr jetzt genommen wird, aber auch von der Freude, die
sie erfahren werden, wenn sie ihm erneut begegnen werden. Jesus verwendet
dabei das Bild von der Frau, die der Gedanke an die bevorstehende Geburt
mit Angst und Schmerz erfüllt, aber auch von der Freude, die sie erfüllen
wird, wenn sie das Kind glücklich zur Welt gebracht hat. Gerade in dieser
Weise soll es den Jüngern ergehen.
Dass es sich hier um das Wortfeld vom “Reich Gottes” handelt, zeigt
sich spätestens am Ende von Joh 16. Hier spricht Jesus: “Dies habe ich
zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in
Bedrängnis. Aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt” (Joh 16,33).
Offensichtlich hat sich der Evangelist in dem ganzen Abschnitt Joh 16,8-33
von Sprach- und Gedankenwelt der Verheißungen des “Reiches Gottes”
bestimmen lassen, wie es uns in Entsprechung zu Röm 14,17 in Joh 14,25-28
begegnet war. Besonders auffallend ist hier in Joh 16, dass hier einmalig
bei Johannes von der “Gerechtigkeit” die Rede ist. Dies erklärt sich leichter
durch Traditionsbindung als durch Zufall, auch wenn sich diese Einsicht
bislang kaum durchsetzt.
Wenn Jesus so zweimal in den Abschiedsreden die Gaben des Reiches
Gottes ankündigt, so nimmt es nicht Wunder, dass Jesus diese Gaben seinen
Jüngern nun am Ostertag verleiht. Dies wird uns in Joh 20,19-23 berichtet,
wo uns der Vierte Evangelist Jesu Erscheinung vor seinen Jüngern am
Ostertag schildert. Zweimal entbietet Jesus hier den Friedensgruß (Joh
20,19.21). Über die neue Begegnung der Jünger mit Jesus “freuen” diese
sich (V. 20). Im weiteren Verlauf der Szene haucht Jesus seine Jünger an
und spricht zu ihnen: “Empfangt den Heiligen Geist. Welchen ihr die Sünden
erlasst, denen sind sie erlassen, welchen ihr sie behaltet, denen sind sie
behalten” (Joh 20,23). Erneut stoßen wir hier auf das uns bekannte
Wortfeld. Nur verheißt Jesus den Jüngern hier nicht mehr seine eschato-
logischen Gaben für die “Stunde” seines Abschieds, sondern verleiht sie
ihnen in der österlichen Begegnung. Die Verheißungen sind erfüllt.
Die Frage stellt sich, woher der Vierte Evangelist den Motivkomplex
übernommen hat. Eine direkte Abhängigkeit von Paulus erscheint ausge-
16
Vgl. BEUTLER, Habt keine Angst, 90-92; BEUTLER, Do Not Be Afraid, 82-83.