Armin D. Baum, «Biographien im alttestamentlich-rabbinischen Stil. Zur Gattung der neutestamentlichen Evangelien», Vol. 94 (2013) 534-564
The New Testament Gospels exhibit an amalgam of biographical genre elements from Greco-Roman cultivated literature (Hochliteratur) and popular literature ('Kleinliteratur'), Old Testament historiography, and rabbinic literature. They display the least affinity with the erudite Bioi of Greco- Roman Hochliteratur (pace R. Burridge). Similarities with Greco-Roman popular lives are more evident. But M. Reiser’s thesis that the Gospels were influenced to an even greater degree by the biographical sections of Old Testament history books can be further strengthened. In addition, it is possible to demonstrate close affinities between the Gospels and the biographical components of rabbinic literature. Overall the four New Testament Gospels can be characterized as biographies of Jesus in Old Testament and Rabbinic style with comparatively slight Greco-Roman influences.
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Biographien im alttestamentlich-rabbinischen Stil
Zur Gattung der neutestamentlichen Evangelien
Seit langem wird von Exegeten nach der Gattung der neutesta-
mentlichen Evangelien gefragt. Zum einen ist umstritten, ob es sich
bei den Evangelien überhaupt um antike Bioi bzw. Biographien han-
delt (I). Zum anderen wird diskutiert, ob sie der paganen Hochliteratur
(II), der paganen Volksliteratur (III), der alttestamentlich-jüdischen
Literatur (IV) oder der rabbinisch-jüdischen Literatur (V) nahestehen.
I. Die Evangelien als Werke sui generis
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnete David Friedrich
Strauß sein zweites Jesusbuch mit der These, über den Christus des
Glaubens könne man keine Biographie schreiben. Die kirchliche
Lehre von seiner Person (dem menschgewordenen Gottessohn) und
seinem Werk (dem Sterben und Auferstehen zur Erlösung der
Menschheit) komme als Gegenstand einer (historischen) Lebensbe-
schreibung bzw. Biographie nicht in Frage. Denn der Christus des
Glaubens stehe über den Naturgesetzen und damit außerhalb der hi-
storischen Wirklichkeit: “Der kirchliche Christus ist kein Gegenstand
für eine Biographieâ€. Ein “Leben Jesu†ist “ein sich selbst wider-
sprechender Begriff†1. Strauß hat diese Thesen allerdings nicht auf
die Gattung der Evangelien bezogen. Die Frage, ob es sich bei den
Evangelien mit ihrer Mischung aus historischem und mythischem
Stoff um Biographien handelte, hat er nicht gestellt.
1. Die Evangelien als erweiterte Kultlegenden
Diese Frage hat Rudolf Bultmann in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts negativ beantwortet. Er schrieb im Schlusskapitel sei-
ner “Geschichte der synoptischen Tradition†und in einem ver-
wandten RGG-Artikel über die neutestamentlichen Evangelien:
1
D.F. STRAUSS, Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet (Leipzig
2
1864) I, 3-6.
BIBLICA 94.4 (2013) 534-564