Armin D. Baum, «Autobiografische Wir- und Er-Stellen in den neutestamentlichen Geschichtsbüchern im Kontext der antiken Literaturgeschichte», Vol. 88 (2007) 473-495
Read against the background of ancient literary practice (in Near Eastern and Greco-Roman historiography), the 'we' passages in the Acts of the Apostles (in Acts 13–28) and the statements about the beloved disciple in the Fourth Gospel (Joh 13,23; 19,26; 20,2; 21,7.20) should probably be interpreted as autobiographical remarks. Yet, unlike Greek and Roman historians the New Testament narrators wrote their books, including these autobiographical passages, anonymously. They appear to have done so because they wanted to claim personal presence at a few crucial points in the narrated history while at the same time intending to remain as invisible as possible. For the author of Acts the use of the first Person Plural provided the best opportunity to conceal his name without disappearing completely from his narrative. The fourth Evangelist decided to hide behind the anonymous figure of the beloved disciple whom he introduced in the third person; had he used the first person he would have been much more visible throughout his whole book.
Autobiografische Wir- und Er-Stellen
in den neutestamentlichen Geschichtsbüchern
im Kontext der antiken Literaturgeschichte
Eine Eigenart der neutestamentlichen Geschichtsbücher besteht in der
Art und Weise, wie ihre Verfasser von sich selbst erzählen (I). Es lohnt
sich, ihre Art des autobiografischen Erzählens einmal umfassend im
Kontext der antiken Literaturgeschichte zu beleuchten, sie also sowohl
mit den literarischen Konventionen der griechisch-römischen
Historiografie (II) als auch der hebräisch-alttestamentlichen
Geschichtsschreibung (III) zu vergleichen. Ein solcher Vergleich dient
vor allem der Interpretation der Wir-Stellen der Apostelgeschichte (IV)
und der Lieblingsjünger-Texte des vierten Evangeliums (V), die in der
Regel isoliert von einander betrachtet werden.
I. Autobiografisches Erzählen
in den neutestamentlichen Geschichtsbüchern
Erzähltheoretisch lässt sich zwischen dem “ich†des Autors als
Erzähler und dem “ichâ€, das der Autor als Akteur der von ihm
geschilderten Handlung verwendet, unterscheiden.
(a) Einen Prolog, in dem der Autor sich in der 1. Person Singular
mit seinen Lesern über den Inhalt und den Zweck seiner Arbeit
verständigt, haben nur die beiden Bücher des lukanischen
Doppelwerks (Lk 1,1-4; Apg 1,1-11). Eine Zweckangabe steht auch im
Schlussteil des Johannesevangeliums (Joh 20,31: “damit ihr glaubtâ€;
vgl. 19,35), allerdings ohne jedes “ich†des Autors. Bei den beiden
letzten Versen des vierten Evangeliums, in denen ein “wir†(Joh 21,24)
bzw. ein “ich†(Joh 21,25) erscheint, dürfte es sich um Aussagen über
den Autor des Buches handeln, die nicht von diesem selbst
stammen (1). Lediglich in zwei Evangelien meldet sich ein Autor in der
1. Person zu Wort. Lukas bedient sich in seinem Evangelienprolog (Lk
1,3: “es erschien auch mir gutâ€) und im Prolog der Apostelgeschichte
(Apg 1,1: “Den ersten Bericht habe ich verfasstâ€) der 1. Person
(1) Vgl. M. HENGEL, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch (WUNT
67; Tübingen 1993) 224-225.