Nils Neumann, «Bewegungen im Dreieck: Heil als Begegnung im erzählten Raum des lukanischen Sonderguts.», Vol. 97 (2016) 375-394
The Lukan Sondergut develops its soteriology by narrating encounters inside a triangular spatial structure. Several important pericopae make use of a recurring scheme: salvation takes place in the encounter between the sinner and Jesus/God. The Pharisees who distance themselves therefrom are called upon to learn a lesson from the sinners and to share in the joy that results from the return of the lost one.
388 NiLS NEuMANN
des älteren bruders (V. 28: wvrgi,sqh) steht im gegensätzlichen Verhält-
nis zur Freude, welche nach der Auffassung des Vaters in der Situation
angebracht ist 53.
Von vorn herein vorausgesetzt wird der Abstand zwischen den Fi-
guren b und c im Gleichnis vom Pharisäer und zöllner: Die bemer-
kung von der räumlichen Ferne des zöllners (V. 13) lässt sich dabei
auch als räumlicher Ausdruck dieser Distanz begreifen. Explizit distan-
ziert sich der Pharisäer hinsichtlich seiner religiösen Qualitäten vom
zöllner (18,11). Allerdings kehrt dieser textabschnitt, verglichen mit
den zuvor besprochenen, an dieser Stelle die reihenfolge des Erzählens
um: zuerst ist von der Selbst-Distanzierung des Pharisäers die rede;
erst anschließend erfolgt im Gebet die Annäherung zwischen dem zöll-
ner und Gott. Die thematik der inneren Selbst-Distanzierung bzw.
überheblichkeit sprechen auch die rahmenden Verse des Abschnitts an
(18,9.14), so dass die Erwartungshaltung der Leserschaft vom beginn
an in diese richtung gelenkt wird.
Ähnlich wie bei der begegnung zwischen Jesus und der Sünderin
erntet der lukanische Jesus auch in der zachäus-Episode unverständnis
von Seiten der Anwesenden. Dies artikuliert sich im Murren (V. 7:
diego,gguzon) der namenlosen Gruppe. Damit entspricht ihr Verhalten
dem der Pharisäer von Lk 15,2 54. Wie in Lk 7,39 hat auch hier der Wi-
derspruch seinen Grund darin, dass Jesus sich mit einem Sünder
(a`martwlo,j) abgibt. Die Kritik entbrennt, weil Jesu Gastgemeinschaft
mit dem Sünder gegen die religiöse Verhaltensrichtlinie und damit
gegen die Erwartung der Murrenden verstößt.
um die ungleichheit des „ungleichen zwillingspaares“ auf die
Spitze zu treiben, kontrastieren einige der hier diskutierten textab-
schnitte am Ende das Verhalten der Figuren b und c gegeneinander.
Dabei stellt der lukanische Jesus regelmäßig die handlungsweise der
Figur b als vorbildhaft dar, um dann das Verhalten von c an diesem
Vorbild zu messen 55. Auch hierbei handelt es sich wieder um einen
typischen zug des Lukasevangeliums, insbesondere innerhalb der Son-
dergut-Gleichnisse. Mehrfach fungieren dort gerade solche Figuren
überraschend als Vorbilder, denen man es vordergründig nicht zuge-
53
Vgl. dazu EcKEY, Lukasevangelium ii, 692; iNSELMANN, Freude, 254.
54
Vgl. dazu iNSELMANN, Freude, 324; LANDMESSEr, „rückkehr“, 243. Vgl.
ferner EcKEY, Lukasevangelium ii, 785; WOLtEr, Lukasevangelium, 611.
55
interessanterweise bemerkt auch bOVON, Evangelium iii, 146 in seiner Er-
klärung zu Lk 17,11-19, dass die Fokussierung der Außenseiter-Figur diesen text-
abschnitt gerade mit 7,36-50 und 19,1-10 verbindet.