Hermann-Josef Stipp, «Zwei alte Jeremia-Erzählungen: Jeremia 28 und 36. Fallstudien zum Ursprung der Jeremia-Erzähltradition», Vol. 96 (2015) 321-350
Jeremiah 28* and 36* bear signs of having been composed during the prophet's lifetime. These stories depict incidents that had the potential to severely damage the prophet's reputation among the Judean public: clashes with powerful opponents from which Jeremiah seemed to have emerged as the losing party. These early narratives served apologetic ends, providing Jeremiah's followers with an account of the incidents that stressed YHWH's support for his true prophet. The investigation confirms the theory that conflict on a broad variety of topics played a significant role in stimulating the growth of prophetic literature.
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Dagegen sind die Kap. 27 und 28 durch eine gemeinsame Situation
verbunden: Jeremias prophetische Symbolhandlung mit den Joch-
balken 3. Gleichwohl bildet auch diese Sequenz keine originäre Einheit.
1. Die Rekonstruktion der Grundschicht von Jeremia 28
Obwohl Jeremia 27–28 einen gemeinsamen Situationshinter-
grund aufweisen, wird Kap. 28 durch eine eigene Datierung eröffnet
(V. 1), die auf der Ebene des älteren alexandrinischen Textes (AlT),
wie vertreten durch JerG* 4, sogar die einzige Datierung darstellt
(vgl. 27,1 MT). Ferner bietet das Kapitel eine Erzählung, die – ab
V. 5 – in 3. Person auf Jeremia Bezug nimmt, während Jeremia 27
Reden aneinanderreiht, deren Einleitungen das Kapitel als Ich-Bericht
präsentieren (27,12a.16a; MT 27,1-2a). Jeremia 28 beginnt zwar in
demselben Stil (V. 1), doch muss dies aus einer inkonsequenten
Anpassung an den Vortext herrühren, denn zwischen der Rede Hananjas
in 28,1-4 und Jeremias Antwort ab V. 5 kann keine literarische
Schichtengrenze verlaufen. Jene Bestandteile von V. 1, die das
Geschehen mit den vorweg berichteten Ereignissen synchronisieren
und so das Kapitel mit dem Vortext verkoppeln, bestehen ohnehin
aus masoretischen Überschüssen, die sich durch eine widersprüchliche
Doppeldatierung (Antrittsjahr Zidkijas neben seinem 4. Regie-
rungsjahr wie in AlT) und Merkmale des prämasoretischen Idiolekts 5
als späte Zutaten zu erkennen geben.
Allerdings kann 28,1 nicht den originalen Beginn der Hananja-
Erzählung bilden, da V. 10 bereits vom Vorwissen des Publikums
3
Zur Symbolik des Jochs vgl. nun E. SILVER, “Performing Domina-
tion/Theorizing Power. Israelite Prophecy as a Political Discourse beyond the
Conflict Model”, Journal of Ancient Near Eastern Religions 14 (2014) 186-216.
4
Zu den textgeschichtlichen Voraussetzungen vgl. H.-J. STIPP, “Zur aktu-
ellen Diskussion um das Verhältnis der Textformen des Jeremiabuches”, in
ID., Studien zum Jeremiabuch. Text und Redaktion (FAT 96; Tübingen 2015)
50-82. Für eine rezente Studie zu den Differenzen zwischen MT und AlT in
Jeremia 27–28 vgl. R. WELLS, “Dislocations in Time and Ideology in the
Reconception of Jeremiah’s Words. The Encounter with Hananiah in the
Septuagint Vorlage and the Masoretic Text”, Uprooting and Planting. Essays
on Jeremiah for Leslie Allen (ed. J. GOLDINGAY) (LHBOTS 459; New York
2007) 322-350 (Lit.!).
5
Vgl. H.-J. STIPP, “ Der prämasoretische Idiolekt im Jeremiabuch”, Studien
zum Jeremiabuch, 83-126: tyvarb tklmm Id 4.22 und ayhh hnvb Id 4.25.