Andreas Scherer, «Vom Sinn prophetischer Gerichtsverkündigung bei Amos und Hosea», Vol. 86 (2005) 1-19
Recently it has been proposed that announcements of judgment,
like the ones to be found in the minor prophets Amos and Hosea, on principle are
to be considered as vaticinia ex eventu. Even the traditions of
salvation, employed to reinforce different kinds of reproach, are held to be the
work of learned redactors. However, these hypotheses are supported neither by
the evidence from the ancient Near East nor by the logic underlying prophetical
proclamations of judgment themselves, for sheer announcements of punishment
could only be meaningless in times of doom as well as during periods of
recovery. Old Testament prophecy of doom is no complete stranger among the
religions of the ancient Near East. It owes its uniqueness not to the kind or
genus, but only to the complexity of its message.
6 Andreas Scherer
briefen’ von Mari. In einem Schreiben Nur-Sins, des Legaten von
Mari, an Zimri-Lim erstattet Nur-Sin seinem König Bericht. Dabei
geht es um das Auftreten prophetischer Gestalten, die im Namen des
Gottes Addu Warnungen und Mahnungen an Zimri-Lim richten. Er
soll Gaben und Gut, die der Gott von ihm fordert, unverzüglich be-
reitstellen:
Wenn er nicht (scil. das Gewünschte) gibt — Herr des Thrones,
des Landes und der Stadt bin ich! — was ich gab,
werde ich wegnehmen. Wenn es sich (aber) nicht so (verhält),
und er meinen Wunsch erfüllt, werde ich ihm Thron über Thron,
Haus über Haus, Länder über Länder,
Stadt über Stadt geben (21-26) (17).
Es besteht eine besonders enge Beziehung zwischen Addu von
Kallassu und Zimri-Lim von Mari, denn der König verdankt es dem
Gott, daß es ihm gelungen ist, die Mari-Dynastie zu restituieren. Jetzt
verlangt der Gott, daß Zimri-Lim sich dadurch erkenntlich zeigt, daß
er die angemessenen Gunsterweise nicht zurückhält. Das gleichsam
‘heilsgeschichtliche’ Verhältnis ist auf Wechselseitigkeit angelegt.
Wenn Zimri-Lim seinem Part nicht gerecht wird, nimmt Addu seine
Gaben zurück. Zimri-Lim wird also in Form einer ultimativen Ver-
warnung vor ein klares Entweder-Oder gestellt. Zugleich ist unver-
kennbar, daß keine unbedingte Unheilsprophezeiung vorliegt. Denn
die Drohung will nicht das Ende des Monarchen, sondern dient dem
Zweck, ihn zu einer bestimmten Handlung zu motivieren.
Anders verhält sich das in einer alttestamentlichen Episode aus 2
Kön 1, die mit Elia dem Tischbiter verbunden ist. Nun stehen die Pro-
phetenerzählungen aus dem DtrG bekanntlich im Verdacht, “in der
Mehrzahl aus später (...) nachprophetischer Zeit†(18) zu stammen. Ein
genauer Blick auf das betreffende Material rät jedoch davon ab, die-
sem Pauschalurteil bedenkenlos zu folgen. Bezogen auf 2 Kön 1,2-
8.17aa konnte Thiel zeigen, daß der Erzählzusammenhang dieser
Verse nicht nur so gut wie keine dtr. Bearbeitungsspuren aufweist,
sondern außerdem den Kernbestand des Kapitels ausmacht (19). Mit
(17) Ãœbersetzung nach der Transkription von NISSINEN, Prophets, 18-19.
(18) KRATZ, Das Neue, 9.
(19) Vgl. dazu und zum folgenden W. THIEL, “Deuteronomistische Redakti-
onsarbeit in den Elia-Erzählungenâ€, Congress Volume Leuven 1989 (VT.S 43;
Leiden 1991) 148-171, wieder abgedruckt in und hier zitiert nach: DERS., Gelebte
Geschichte. Studien zur Sozialgeschichte und zur frühen prophetischen Ge-
schichtsdeutung Israels (Hrsg. P. MOMMER – S. POTTMANN) (Neukirchen-Vluyn
2000) 139-160 (146-149).