Andreas Scherer, «Vom Sinn prophetischer Gerichtsverkündigung bei Amos und Hosea», Vol. 86 (2005) 1-19
Recently it has been proposed that announcements of judgment,
like the ones to be found in the minor prophets Amos and Hosea, on principle are
to be considered as vaticinia ex eventu. Even the traditions of
salvation, employed to reinforce different kinds of reproach, are held to be the
work of learned redactors. However, these hypotheses are supported neither by
the evidence from the ancient Near East nor by the logic underlying prophetical
proclamations of judgment themselves, for sheer announcements of punishment
could only be meaningless in times of doom as well as during periods of
recovery. Old Testament prophecy of doom is no complete stranger among the
religions of the ancient Near East. It owes its uniqueness not to the kind or
genus, but only to the complexity of its message.
Vom Sinn prophetischer Gerichtsverkündigung 9
Bei der Entscheidung zwischen der zweiten und der dritten Mög-
lichkeit hängt viel von der Deutung eines Verbs mit der Buchstaben-
folge thgy ab — offenbar eine Form der 2. Pers. Sing. Fem. Denkt
man hier an ein mit dem akkadischen agËgum verwandtes Verbum
Ajin Ajin mit der Bedeutung “zürnen†(27), ergibt sich als Übersetzung
der umstrittenen Passage die Aussage: “Aber zürne nicht für immer!â€
Zieht man dagegen eine Verbindung zum arabischen wahagµa (“glän-
zenâ€/“scheinenâ€) (28) in Betracht, erhält man den Satz: “Und scheine
nimmermehr!â€
w’l thgy ‘d ‘lm (29)
thgy akk.: agËgum (“zürnenâ€) Wurzel hgg ⇒ “Aber zürne nicht für immer!â€
thgy arab.: wahagµa (“scheinenâ€) Wurzel whg ⇒ “Und scheine nimmermehr!â€
Im ersten Fall ist mit der Formulierung der Wendepunkt erreicht,
an dem die Götter zum Wunsch auf Begrenzung des Unheils überge-
hen. Im zweiten Fall setzen sie mit dem Satz die Beauftragung zur
Unheilsvollstreckung weiter fort. Erscheint letzteres in philologischer
Hinsicht durchaus möglich, so spricht der narrative Kontext der
Schilderung vielleicht doch eher für ersteres. Die dritte Szene der Bi-
leam-Inschrift mündet nämlich in einer merkwürdigen Tierbeschrei-
bung aus, die eine verkehrte Welt darstellt und als Sinnbild des tota-
len Chaos dient (30). Diese Schreckenskulisse soll möglicherweise die
Göttin zur Mäßigung ihres Zorns bewegen. Sie mag zwar einen Tag
des Schreckens heraufführen, aber ihr Zorn darf nicht endlos sein, da-
mit es auf Erden nicht zur vollständigen Dekosmisierung kommt. Un-
abhängig davon, für welche der beiden letzten Möglichkeiten man
sich entscheidet, sind wir auf jeden Fall mit einer Perspektive be-
trächtlichen Unheils konfrontiert. Lediglich das Ausmaß des Un-
glücks ist fraglich. Jenseits dieses Deutungsproblems bleibt die Tatsa-
che beachtlich, daß Bileam die Aussichten immerhin als so
bedrückend empfindet, daß er, wie in Abschnitt 2 beschrieben, weint
und fastet. Vielleicht darf man darin auch Gesten der Selbstminde-
(27) Vgl. WEIPPERT, “‘Bileam’-Textâ€, 168, Anm. 21.
(28) So SEOW, Sources, 212, Anm. d.
(29) Zeile 8 (HOFTIJZER – VAN DER KOOIJ); XXIV (WEIPPERT); 7. (SEOW).
(30) Vgl. dazu H.-P. MÜLLER, “Die Funktion divinatorischen Redens und die
Tierbezeichnungen der Inschrift von Tell Deir ‘AllËâ€, The Balaam Text from Deir
‘Alla Re-evaluated. Proceedings of the International Symposium held at Leiden,
21-24 August 1989 (Hrsg. J. HOFTIJZER – G. VAN DER KOOIJ) (Leiden et al. 1991)
202-203.