Andreas Scherer, «Vom Sinn prophetischer Gerichtsverkündigung bei Amos und Hosea», Vol. 86 (2005) 1-19
Recently it has been proposed that announcements of judgment,
like the ones to be found in the minor prophets Amos and Hosea, on principle are
to be considered as vaticinia ex eventu. Even the traditions of
salvation, employed to reinforce different kinds of reproach, are held to be the
work of learned redactors. However, these hypotheses are supported neither by
the evidence from the ancient Near East nor by the logic underlying prophetical
proclamations of judgment themselves, for sheer announcements of punishment
could only be meaningless in times of doom as well as during periods of
recovery. Old Testament prophecy of doom is no complete stranger among the
religions of the ancient Near East. It owes its uniqueness not to the kind or
genus, but only to the complexity of its message.
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rung erblicken, mit denen Bileam die drohende Gefahr von der Ge-
meinschaft, die er vertritt, abwenden möchte (31).
Die Bileam-Inschrift zeigt, daß spätestens seit dem ausgehenden
9. Jahrhundert (32) in Israels engster Nachbarschaft die Gattung der auf
Offenbarung beruhenden prophetischen Unheilsankündigung bekannt
war. Soviel sich dem Text entnehmen läßt, ist darin zwar unter Um-
ständen ein Bestreben zur Eindämmung der Katastrophe zu erkennen,
keineswegs jedoch die Gewißheit über deren erfolgreiche Abwen-
dung.
Der kursorische Überblick über altorientalische und altisraeliti-
sche Prophetie außerhalb der alttestamentlichen Schriftprophetie hat
ein Bild zutage gefördert, dessen Pluriformität der Vielfalt innerhalb
der alttestamentlichen Schriftprophetie in mancher Hinsicht durchaus
nahekommt. Zu allen skizzierten Typen von Prophetie lassen sich in-
nerhalb des Kanons der hinteren Propheten Entsprechungen finden.
Der neuassyrischen Heilsprophetie eignet eine höchst auffällige
Affinität zu den sog. ‘Heilsorakeln’ bei Dtjes (33). Die ultimative Mah-
nung aus dem zitierten Mari-Brief erinnert an die dtr. Konzeption von
Prophetie, wie sie auch innerhalb des endgestaltlichen Amosbuchs,
nämlich in Am 5,6 (34), aufzufinden ist:
‘Sucht JHWH, so werdet ihr leben!’;
damit er nicht das Haus Joseph wie Feuer durchdringt (35);
und es frißt; und es gibt keinen, der löscht.
Bezieht sich auf Beth-El.
(31) Vgl. MÃœLLER, Die Funktion divinatorischen Redens, 178; WEIPPERT,
“‘Bileam’-Textâ€, 178.
(32) Die wichtigsten Anhaltspunkte für die Datierung der Bileam-Inschrift bei
H. SEEBASS, Numeri (BK IV/3,1; Neukirchen-Vluyn 2004) III.1, 56-57: Mit Hilfe
von C14-Untersuchungen an Pflanzenresten läßt sich das Stratum, dem die
Verputzstücke angehören, auf die Zeit zwischen 880 und 770 v.Chr. datieren.
Wahrscheinlich erfolgte die Zerstörung durch ein Erdbeben gegen Ende des 9.
Jh.s. Zugleich deutet die Textgestalt auf eine ältere Vorlage hin. Der Text
entstand allem Anschein nach unter aramäischer Ägide. Die Überlieferung kann
bis in die Omridenzeit oder sogar bis in die Zeit Davids/Salomos zurückreichen.
(33) Vgl. etwa Jes 41,8-13.14-16; 43,1-7; zur Sache vgl. vor allem M. WEIP-
PERT, “‘Ich bin Jahwe’ – ‘Ich bin Iπtar von Arbela’. Deuterojesaja im Lichte der
neuassyrischen Prophetieâ€, Prophetie und Psalmen. Festschrift K. Seybold (Hrsg.
B. HUWYLER) (AOAT 280; Münster 2001) 31-59.
(34) Zum dtr. Charakter dieses Verses vgl. JEREMIAS, Amos, XXI mit Anm.
13 und S. 67.
(35) Zur Semantik vgl. HALAT, 961; vgl. außerdem JEREMIAS, Amos, 60 mit
Anm. 4.