Thomas J. Kraus, «Ad fontes: Gewinn durch die Konsultation von Originalhandschriften am Beispiel von P. Vindob. G 31974», Vol. 82 (2001) 1-16
By examining only one page of the famous papyrus codex P. Beatty I (P45), namely the recto side of the Vienna Fragment P. Vindob. G 31974, we show that manuscripts possess a relevance that goes beyond the mere reconstruction of the most probable original text of the New Testament when they are considered as unique fingerprints of their age and of the people who produced them. Through precise observations on the fragment itself, in particular of its writing and of the way the page is arranged, we attempt to draw cautious conclusions of a socio-cultural nature to bring into view the people behind P. Vindob. G 31974 by reflecting on its function and purpose, in this way also demonstrating that it is indispensable to consult an original manuscript.
I. Editionsgeschichte und Beschreibung von P. Vindob. G 31974
Im Jahr 1930 konnte H. Junker für die Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien acht kleine Papyrusstücke mit unbekanntem Fundort erwerben, die trotz ihres beschädigten Zustandes und ihrer zerbrechlichen Struktur zusammengefügt werden konnten. In seiner Erstveröffentlichung identifizierte und rekonstruierte H. Gerstinger13 den erhaltenen Text als Mt 25,41–26,39, stellte zudem den Zusammenhang mit P. Beatty I (P45) her. Ein Jahr später gelang A. Merk14 die Zuordnung eines anderen Fragmentes des in Dublin befindlichen Papyrus-Codex (beide Fragmente grenzen nicht aneinander an), während erst 1951 durch G. Zuntz15 eine Neuedition erfolgte, in der ihm die detailliertere und verläßlichere Rekonstruktion einer Seite des Codex, basierend auf dem Dubliner und Wiener Fragment, glückte.
Im Mittel ist das zusammengesetzte Fragment 5 cm breit und 21 cm hoch. Vom Rekto aus betrachtet ist ein Rest des unteren wie des daran angrenzenden rechten Randes sowie ein Teil des oberen Randes erhalten. Auf dem Rekto befinden sich 34, auf dem Verso nur 33 Zeilen, zurückzuführen auf die leicht größeren Buchstaben im oberen Bereich16. Vergleichsweise kleine, regelmäßig und sorgfältig ausgeführte Buchstaben in kräftiger schwarzer Tinte sind von gleicher Höhe und Breite, beanspruchen so für sich den jeweils gleichen Raum. Nur f und u, mit ihrem in der Zeile stehenden Korpus, ihre Basislinie aber die Zeile nach unten durchbrechend, und kleineres i und o (so v.a. zwischen t und u in der Mitte der Zeilenhöhe eingefaßt wie z. B. Z. 12,