Jong-Hoon Kim, «Intentionale Varianten der Habakukzitate im Pesher Habakuk
Rezeptionsästhetisch untersucht», Vol. 88 (2007) 23-37
In this essay the character of the citations (lemmata) of 1QpHab is discussed. Compared with the MT, there are 135 (resp. 153) variants in the citations of 1QpHab. Even if the majority of them can be regarded and explained textcritically,
there is however a number of variants (probably about 25 to 30 %) that can and should be explained in the light of the intention of the author of the pesher. This means that those variants are not the result of textual corruption, scribal errors or simple misreadings, but that they are — as all the quotations of the Habakuk-texts — an integral part of the pesher and that those variants are shaped by the world and by the intention of the author. To understand this process, the theory and the categories of reception aesthetics, especially its understanding of the “reading process”, prove quite useful. To demonstrate this understanding, several cases are singled out and discussed.
28 Jong-Hoon Kim
Veränderung des Bibeltextes — zu Jerusalem und den Städten Judas.
Der Verfasser des 1QpHab produzierte somit als “Leser†des
Bibeltextes durch den dialektischen Leseprozess zwischen Bibeltext
und Pescher-Teil eine neue Sinnstruktur.
b) Doppelte Kontrolle der Leerstellen des Textes
Ein Text enthält Leerstellen, die unausweichlich sind. Sie wirken
fortdauernd auf den Leseprozess ein. Die Leerstelle des Textes führt
zu einer Vielzahl der Lesemöglichkeiten und damit auch zu einer
Vielzahl impliziter Leser, die den Text unterschiedlich konkretisieren
können. Der Realleser produziert dann eine neue Sinnstruktur des
Textes, indem er durch seinen Leseprozess die Leerstellen füllt.
Deswegen hat ein Text nicht nur einen einzigen und absoluten Sinn.
Aber andererseits ist es auch nicht erlaubt, einen Text einfach
willkürlich zu interpretieren bzw. zu verstehen, d.h. der Leser kann
sich nicht beliebig weit vom Text entfernen. Die Leerstelle des Textes
überlässt sich nämlich nicht gänzlich der Subjektivität des Lesers,
sondern der Leser wird gleichzeitig von der Struktur des Textes
kontrolliert. Der Realleser verlässt nicht die Struktur des Textes. Er
spielt zwar eine sehr aktive Rolle, die Leerstelle zu füllen, gleichzeitig
konkretisiert er aber rezeptionsästhetisch gesehen den Text in dem
Rahmen, der durch die Leerstelle des Textes gegeben ist.
Wie können diese Einsichten auf 1QpHab angewandt werden?
Hier ist es nötig zu beachten, dass die sog. “continuous pesharim†als
ihre Gegenstände überwiegend die Prophetie und die Psalmen
nahmen (12). Die Texte der Prophetie und der Psalmen sind meistens
Verse mit poetischen Formen. Poetische Texte haben in der Regel
mehr Leerstellen als die Prosa, und damit fordern sie die Leser stärker
zur Konkretisierungsaktivität. Darüber hinaus macht das Verständnis
von Prophetie den Text offen für weitere, aktualisierende
Interpretation. In 1QpHab VII, 2 ist “die Vollendung der Zeitâ€
(≈qh rmg), die Gott dem Propheten nicht kundgetan hatte, sozusagen
eine Leerstelle. Der ganze 1QpHab bewegt sich um diese Leerstelle
von der “Vollendung der Zeitâ€, die im Bibeltext nicht enthüllt ist, die
aber im Text angesprochen wird und die nun von Gott durch den
Lehrer der Gerechtigkeit kundgetan wurde.
(12) Die gefundenen “continuous pesharim†sind: 4QpIsaa (4Q161); 4QpIsab
(4Q162); 4QpIsac (4Q163); 4QpIsad (4Q164); 4QpIsae (4Q165); 4QpHosa
(4Q166); 4QpHosb (4Q167); 1QpMic (4Q14); 4QpNah (4Q169); 1QpHab;
1QpZeph (1Q15); 4QpZeph (4Q170); 1QpPs (1Q16); 4QpPsa (4Q171); 4QpPsb
(4Q173).